Psychotherapeut warnt nach der Serie von Brandstiftungen: „Die hören nicht von alleine auf“
Brandstiftung – allein das Wort verursacht Gänsehaut. Zu zündeln verbieten wir schon unseren Kindern. Was geht in einem Menschen vor, der Feuer legt? Wie es aktuell in und um Neuenbürg immer wieder vorkommt. Die PZ hat sich darüber mit dem Engelsbrander Psychotherapeuten Werner Polster unterhalten. Er sagt: „Meist geht es bei diesen Menschen um Themen wie Macht, Thrill oder Geltungssucht vor dem Hintergrund eines eingeschränkten Selbstwertgefühls und fehlender Selbstachtung.“
PZ: Die Sonne brennt vom Himmel, die Nachrichten sind voll von Meldungen, dass die trockenen Wälder wie Zunder brennen – warum legt ein Mensch jetzt Feuer?
Werner Polster: Meist geht es bei diesen Menschen um Themen wie Macht, Thrill oder Geltungssucht vor dem Hintergrund eines eingeschränkten Selbstwertgefühls und fehlender Selbstachtung. An der Faszination des Feuers können sich solche Menschen durchaus berauschen und ein grandioses Gefühl der Selbstwirksamkeit und Bedeutsamkeit erleben, das sonst im sozialen Leben nur schwer herstellbar erscheint.
Wie kann jemand ausblenden, dass Brände bei den derzeitigen Temperaturen Mensch, Tier und Natur sehr gefährlich werden können?
Emotion schlägt gegebenenfalls immer Ratio. Das heißt, je stärker die Gefühle sind, also die Aktivität des Mandelkern ist, desto mehr wird das steuernde Stirnhirn, also die Vernunft, abgeschaltet. Dieser Mechanismus ist grundsätzlich angeboren, weil er in der Evolution lebensrettend war und ist. Stellen Sie sich vor, sie sind im Wald, hören ein lautes Rascheln und müssen annehmen, dass ein gefährliches Tier auf sie zurennt. Da dürfen Sie nicht nachdenken, sondern müssen ab durch die Mitte. Kampf oder Flucht. Nach dem ersten Reflex ist es dann möglich, sich umzudrehen, zu registrieren, dass niemand hinter ihnen her ist. Mit dieser Einordnung können Sie den Affekt regulieren. Anhalten, durchatmen. So ist es auch, wenn der Thrill so stark ist, dass alle Folgen – das Feuer kann sich ausbreiten, ist eine Gefahr für andere – ausgeblendet sind. Das heißt, in diesem konkreten Fall der Brandstiftung, wenn die Faszination und die berauschenden Gefühle im Zusammenhang mit einem lädierten Selbstwertgefüge über ein bestimmtes Maß hinausgehen, wird nicht mehr klar gedacht und vernünftige, kognitive Erwägungen spielen zunehmend keine Rolle mehr. Das Gefühl dominiert und allenfalls hinterher könnten dann, wenn die Gefühle wieder abflachen, vernünftige Erwägungen wenigstens erkennen lassen, was angerichtet wurde – hoffentlich.
Suchen Pyromanen Hilfe bei Psychologen?
Leider kaum aus eigenem Antrieb. Am ehesten, wenn ein Gericht dies zur Auflage macht. Aber dann ist erst einmal die Ausgangsposition weniger optimal, weil meist zuerst so etwas wie eine korrigierende Krankeneinsicht hergestellt werden muss. Der Pyromane, der sich oft ohnmächtig, klein und wirkungslos fühlt, hat soviel von seiner Tat, ist dadurch in seinem Erleben groß, mächtig und bedeutsam, das gibt er nicht her, so lange er etwas davon hat. Auch wenn ihm vielleicht dämmert, dass es nicht gut ist, was er da tut. Es ist ähnlich wie beim Pädophilen. Auch dieser gewinnt durch seine Straftat und gibt dieses angenehme Gefühl in der Regel nicht von alleine auf.
Warum liest man oft, dass gefasste Brandstifter einen Bezug zur Feuerwehr haben?
Man hat in der Regel Erfahrung mit dem Mittel, das Befriedigung verspricht. Derjenige erlebt, dass er steuern kann, etwas das er aufgrund eines gestörten Selbstwertgefüges sonst nicht erlebt. Und diese Menschen hören eben nicht von alleine auf. Sie müssen geschnappt und therapiert werden. Allerdings ist eine Behandlung schwierig und ich bin skeptisch, was den Erfolg angeht. Die Therapie muss ergeben, dass derjenige seine Vorstellungen nur in der Fantasie belässt. Das ist anstrengend und aufgrund der oft unausgereiften Persönlichkeitsstruktur dieser Tätergruppe schwierig. Aus meiner Sicht wird häufig zu lasch mit ihnen umgegangen. Denn die Rückfallgefahr bei einer solchen Prägung ist sehr hoch.
Was sind Warnzeichen? Wie kann man erkennen, ob die Faszination Feuer gefährliche Handlungen provoziert?
Das steht diesen Menschen leider nicht auf der Stirn geschrieben. Es sind oft sehr unspezifische Hinweise, die mehr oder weniger direkt einen Bezug zum Feuer haben. Es können Menschen sein, die sich selber sozial nicht gut integriert erleben, ohne viel Möglichkeiten aktiv und wirksam handeln zu können – zumindest glauben sie das. Sie sehen sich selber also in der Opferrolle und versuchen, in der Handlung des Feuerlegens den Spieß umzudrehen und die Menschen um sich herum – uns – zum Opfer zu machen. Also ein vergleichbarer Mechanismus, den auch andere Attentäter drauf haben können.
Dr. med. Werner Polster ist Gründer und Leiter der Akademie für Psychotherapie Pforzheim sowie Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Er wohnt in Engelsbrand und hat nach eigenen Angaben über 40 Jahre Erfahrung in der Psychotherapie.

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Brandstiftungen in jüngster Zeit
Mai 2018: In einem Oberderdinger Seniorenheim wird ein Feuer gelegt. Eine 82-jährige Bewohnerin kommt ums Leben, eine weitere Frau wird schwer verletzt. Lange Zeit tatverdächtig ist ein damals 23-jähriger Altenpflegeschüler. Im folgenden Prozess wird ihm seitens der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt, auch zwei Scheunen in Brand gesteckt zu haben. Vor dem Karlsruher Landgericht wird er am Ende aber von allen Anklagepunkten freigesprochen. Wer die Brände gelegt hat, ist somit weiterhin unklar.
Juni 2018: Ein 24-Jähriger verübt einen Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Wiernsheim. Dabei hat der Täter einen Amoklauf an der Grundschule geplant, änderte dann den Plan und wendet sich dem Flüchtlingsheim zu. Der 24-jährige Franzose wird zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Juni 2018: Im Keller eines MehrfamilienhausesinBad Wildbad bricht ein Feuer aus. Ein 22-Jähriger, der an einer psychischen Erkrankung leidet, steht im Verdacht, es gelegt zu haben. Er wird in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Am Haus entsteht ein Schaden von 50 000 Euro.
November 2018: In Remchingen werden mehrere Autos und Lastwagen in Brand gesteckt. Die Polizei stellte den Täter in der Nähe – betrunken und wütend nach einem Streit mit seiner Verlobten. Das Gericht verhängt gegen den Vater einer kleinen Tochter später eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren. Er ist schuldfähig. Da dem 30-Jährigen aber eine gravierende Persönlichkeitsstörung bescheinigt wird, bleibt er in der geschlossenen Psychiatrie.
Juli/August 2019: Es ist eine ganze Reihe von Bränden in Neuenbürg und Remchingen, die seit Ende Juli die Feuerwehr in Atem hält. Noch immer laufen die Ermittlungen. Die Polizei schließt nach wie vor nicht aus, dass zwischen zwei Waldbränden in der vorletzten Juliwoche in Remchingen und Neuenbürg und dem Feuer, das in der Nacht auf den 1. August zwei parkende Autos an der Neuenbürger Schönblickstraße zerstört, ein Zusammenhang besteht. Am Montag dieser Woche brennt es wieder: An fünf Stellen im Wald zwischen Neuenbürg und Rotenbach, der Verkehr auf der Enztalbahn kommt zeitweise zum Erliegen. Die Polizei geht in allen Fällen von Brandstiftung aus.