Gemeinden der Region
Maulbronn -  12.10.2020
Artikel teilen: Facebook Twitter Whatsapp

Strahlkraft der Stimme: Nils Wanderer im Kloster Maulbronn

Maulbronn. Countertenöre gelten, was ihr Stimmfach betrifft, als Nachfolger der von Mythen umrankten Kastraten-Sänger. Counter singen – vereinfacht gesagt – mit dem Falsett, dem weiblich wirkenden Register der Männerstimme. Sie haben das Repertoire der für Kastraten geschriebenen barocken Vokalmusik übernommen, sind aber dabei, ihre Genre-Grenzen nach Kräften auszuweiten.

Ganz in diesem Sinne präsentierte sich der junge Countertenor Nils Wanderer in der Winterkirche des Maulbronner Klosters mit einem zu zwei ausverkauften Terminen dargebotenen Liedkonzert, brillant und einfühlsam am Flügel von Daniel Heide begleitet. Virtuose Koloraturfestigkeit und dramatische Wucht, aber auch betörende Sinnlichkeit zeichneten seine einleitenden Georg-Friedrich-Händel-Interpretationen aus. In vielfältigen Registerfarben intonierte Wanderer die Gleichnis-Arie „Va tacito e nascosto“ (Still schleicht er und verborgen) aus Händels Oper „Giulio Cesare“, mit an- und abschwellenden Haltetönen das berühmte Liebeslied an eine Platane „Ombra mai fu“ (Welch schattig Grün) aus „Xerxes“, als stürmischen, reich verzierten Parforceritt durch die Skalen die Tolomeo-Arie aus „Giulio Cesare“. Und in seiner Konzert-Zugabe begeisterte der Solist mit zartem Timbre in „Lascia ch’io pianga“ („Lass mich weinen“) aus Händels „Rinaldo“.

In Henry Purcells „Cold Song“ aus „King Arthur“ spielte Wanderer, auch motiviert von dem munteren Klavier-Part, die ruckig stockende Einleitung und die draufgängerischen Steigerungen gestenreich mit, formte die Arie „Music For A While“ aus derselben Oper des englischen Barock-Komponisten in breit getragenen Linien aus und bot mit „Dido’s Lament“ aus Purcells „Dido and Aneas“ ein bedrückendes Klagelied.

Als scharfer Gegensatz zu den barocken Programm-Nummern wirkten die wiedergegebenen romantischen Kunstlieder von Franz Schubert und Richard Strauss – was einer Entdeckung gleichkam, weil sich Counterstimmen höchst selten in diesem Metier versuchen. Wanderer und sein Begleiter entfalteten den intimen Ton mit weicher, lyrischer Innigkeit. Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ konfrontierte Todesangst mit milde beruhigendem Trost. Elegisch verträumt erklang „Der Lindenbaum“ von Schubert, wobei dem Sänger mit verblüffender Selbstverständlichkeit gelang, was für Counter besonders schwierig ist: nämlich der bruchlose Wechsel von der Kopf- zur Brust-Stimme.

Individuelle Prägnanz bestimmte die ausdrucksvollen Strauss-Interpretationen „Die Nacht“ (op. 10/3) und „Zueignung“ (op.10/1). Die Strahlkraft dieser Stimme faszinierte das wegen der Corona-Einschränkungen kleine, heftig applaudierende Publikum.

Am Sonntag, 25. Oktober, beginnt um 18 Uhr in der Stadthalle Maulbronn ein weiteres Konzert mit Nils Wanderer, veranstaltet vom Geschichts- und Heimatverein. Es begleitet ihn das Barock Ensemble mit Judith McCarty und Ingrun Canzler (Violinen), Markus Clemens (Viola), und Barbara Noeldeke (Cello). Karten zu 15 Euro beim Kartenbüro der Stadt Maulbronn, Telefon (0 70 43) 10 30.

Autor: Eckehard Uhlig