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Neuenbürg -  01.12.2020
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Vor Gericht wegen Eskalation in Neuenbürg: Messer-Kampf während des Notrufs zu hören

Neuenbürg. Es ist kriminalistische Detailarbeit, die vor dem Karlsruher Landgericht derzeit geleistet wird. Wie die PZ berichtete, muss sich ein 31-jähriger Deutscher aus Neuenbürg seit vergangener Woche vor dem Schwurgericht wegen versuchten Totschlags verantworten. Er soll Anfang Juli die Wohnung des Ex-Manns seiner Frau aufgesucht, sich gewaltsam Zutritt verschafft und versucht haben, den Ex-Mann mit einem Jagdmesser niederzustechen. Der Angeklagte selbst plädiert auf Notwehr, will das Messer erst zur Verteidigung gezogen haben, als der ihm körperlich überlegene 43-Jährige ihn auf den Boden gedrückt habe.

Die beiden anwesenden Ehefrauen konnten die Szene nicht genau beobachten – und die in der Wohnung anwesenden Kinder verweigern die Aussage, wie am Dienstag am dritten Verhandlungstag klar wurde.

Damit blieb für Richter Fernando Sanchez-Hermosilla als letztes Beweismittel die mitgeschnittene Aufnahme des Notrufs an die Polizei, den die Frau des Ex-Manns während des Geschehens absetzte. Als die Lautsprecher im Gerichtssaal ertönen, herrscht Stille. Die Zuschauer, die hauptsächlich aus der Familie des Angeklagten bestehen, neigen sich gespannt nach vorne, um die kratzenden Wortfetzen in mäßiger Tonqualität zu verstehen. Im Hintergrund hört man das Gerangel, das zwischen den beiden Männern im Hausflur vor sich geht. „Der Papa ist fies“, ruft einer der Söhne plötzlich  – und: „Nein, Papa!“. Dann setzt die 39-jährige Anruferin ein: „Mein Mann wurde gerade mit einem Messer angegriffen“, sie brauche schnell Hilfe. Alles klingt soweit plausibel. Relativ am Ende der Aufnahmen aber der Satz der Frau: „Der ist so dran“ – damit meint sie den Angeklagten. Eine Kerbe, in die Verteidiger Bastian Meyer versucht zu schlagen. Warum sie das in dieser Szene gesagt habe? Es sei im Affekt geschehen: „Das war nicht böswillig gemeint“, sagt sie im Zeugenstand. Nach und nach werden alle Szenen der Aufnahmen abgespielt. Irgendwann hört man den Angeklagten rufen: „Lass mich los!“.

Wirklich neue Erkenntnisse scheinen die Hintergrundgeräusche aber nicht zu liefern. Auch ein von Verteidiger Meyer wahrgenommenes Röcheln im Hintergrund, das auf das Gewürgt-Werden seines Mandanten hindeuten soll, verhallt als Spekulation. Weil die beiden Söhne des 43-jährigen Opfers und der 35-jährigen aktuellen Frau des Angeklagten, die sozusagen zwischen den Fronten stehen, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, gibt es keine weiteren Beweise, die Klarheit schaffen könnten.

Angeklagter psychisch gesund

Eindeutig hingegen ist die Analyse der psychiatrischen Gutachterin, die den Angeklagten während des Prozesses beobachtet hat. Sie zeichnet ein auffällig klares Bild eines unauffälligen Menschen. „Es gibt kein Vorliegen einer seelischen Erkrankung.“ Der Angeklagte könne sich gut konzentrieren und die Realität richtig einschätzen. Trotz der Anspannung im Prozess sei er „beherrscht“, es gebe „keine gesteigerte Aggression.“ Auch seinen Lebenslauf bezeichnet sie als „unauffällig.“ Er habe sich um Arbeit und eine Familie bemüht. Anzeichen für Alkoholkonsum über das Feierabendbier hinaus gebe es nicht. Damit fällt – im Falle einer Verurteilung – die Unterbringung in einer Psychiatrie für den Angeklagten flach.

Das Urteil wird im Laufe des Mittwochs erwartet.

Autor: heg