Wie Beduinen eine israelische Sportlerin vor der Hamas retteten
Be’eri. Der Kibbuz Be’eri zwei Jahre nach dem Hamas-Massaker: Ausgebrannte Häuser haben metergroße Löcher in den Wänden. Sie stammen von Panzerfäusten, mit denen die Islamisten die Wohngebäude angriffen. Die Fassaden sind übersät mit Einschusslöchern. Die Eindringlinge feuerten mit Sturmgewehren und Maschinenpistolen. Die Straßenzüge, die dem Gazastreifen am nächsten liegen, wurden nicht wieder aufgebaut.

Sie erinnern an den „Schwarzen Schabbat“, den 7. Oktober 2023. Von den gut 1000 Einwohnern wurden an diesem Tag 132 ermordet und 32 als Geiseln verschleppt.
Raketenalarm beim Radfahren
Aya Meydan hat überlebt, aber es war knapp. Die 41-jährige Mutter von drei Kindern wurde von dem Angriff überrascht. Sie ist Triathletin und trainierte früh am Morgen mit dem Fahrrad: „Ungefähr zehn Minuten, nachdem ich Be’eri verlassen hatte, ging es los. Ich sah auf einer Seite die Raketen aufsteigen und auf der anderen Seite die Abfangraketen des Iron Dome, die Explosionen, das Licht in der Dunkelheit. Am Anfang hatte ich keine große Angst, denn ich kenne diese Situation. Schon seit 20 Jahren wohnen wir im Gaza-Gürtel. Über all die Jahre hinweg erlebten wir immer wieder Beschuss auf unsere Gemeinde. Von daher erschien mir die Situation in gewissem Sinne normal. Aber in dem Moment, da es schlimmer zu werden schien, entschied ich mich, anzuhalten, von meinem Rad abzusteigen und mich am Rande des Weges auf den Boden zu legen.“ Sie telefonierte zunächst mit Lior Weizmann, einem befreundeten Sportler aus der nahe gelegenen Stadt Sderot, der mit ihr zusammen trainieren wollte. Sie beschlossen, dass jeder zurück nach Hause fährt. Lior kam dort nicht an, er wurde unterwegs erschossen.
Aya rief ihren Mann Omri an. Der befand sich mit den Kindern im Schutzraum ihres Hauses. Er riet ihr, sich vor den Raketen in Sicherheit zu bringen. Aya fuhr zu einem Beton-Schutzbunker am Straßenrand. Nach einiger Zeit beschloss sie, zurück nach Hause zu radeln. Da rannten drei schwarz gekleidete Männer auf sie zu: „Ich sah, dass es sich um Arbeiter aus dem Speisesaal des Kibbuz handelte. Ich kannte sie nur vom Sehen, ich hatte noch nie mit ihnen gesprochen oder sie kennengelernt und ich kannte auch nicht ihre Namen. Erst später erfuhr ich sie. Die Arbeiter aus dem Speisesaal heißen Hisham, Wassim und Mahmud. Sie liefen auf mich zu, und als sie bei mir ankamen, erzählten sie mir, es seien Terroristen im Kibbuz, die alle umbringen würden. Sie hätten bereits den Sicherheitskoordinator ermordet. In diesem Moment wusste ich nicht genau, was ich machen sollte. In den Kibbuz zurückkehren, um bei meiner Familie zu sein, oder flüchten.“
Versteck im Gebüsch
Aya entschied sich für ein Versteck im Gelände. Da bemerkte sie, dass nur noch einer der jungen Männer bei ihr war, Hisham. Die beiden rannten in ein kleines Wäldchen. Sie wusste nicht, was sie von dem jungen Araber halten sollte: „Ich inspizierte ihn von oben bis unten, um zu sehen, ob er eventuell irgendeine Art von Waffe bei sich trug. Der erste Gedanke, der mir in den Sinn kam, war, wenn ich ihm den Rücken zukehre, wird er mich erschießen. Deshalb war jetzt mein Ziel, so nah wie möglich bei ihm zu sein und auch zu tun, was er mir sagt, denn wenn ich mich ihm widersetzte, würde er mich möglicherweise umbringen.“
Die beiden verbargen sich im Gebüsch vor den umher streifenden Killer-Kommandos. Hisham bat sie um ihr Smartphone: „Ich verstand zuerst nicht, wozu er mein Telefon benötigte, er hatte doch bestimmt selbst eines. Er erinnerte mich daran, dass die Terroristen ihn im Kibbuz kurz festgehalten und ihm sein Telefon abgenommen hatten. Deshalb brauchte er meines. Ich gab es ihm. Als er es mir zurückgab, sah ich eine Konversation auf Arabisch mit unserem Standort. Ich dachte mir: ‚Oh oh, jemand wir hierherkommen.‘ Ich weiß nicht wann, ich weiß nicht wer, aber jemand wird hierherkommen. Ich hatte große Angst, ihn zu fragen, wem er schreibt und was er schreibt. Doch nach einiger Zeit nahm ich meinen Mut zusammen und fragte ihn. Er antwortete: ,Ich schreibe meinem Vater‘.“
Aya hatte Angst um ihre Familie. Aus ihrer WhatsApp-Gruppe wusste sie, dass Terroristen in Schutzräume eingebrochen waren und die Menschen dort erschossen hatten. Um die Mittagszeit erhielten sie die Nachricht, dass vier Männer, Verwandte von Hisham aus der Beduinenstadt Rahat, sie abholen würden. Sie kamen kurz darauf tatsächlich mitten ins Kampfgebiet.
„Sie kamen bei uns an, öffneten die Türen des Fahrzeugs, riefen uns zu, aus dem Gebüsch raus zu kommen und zu ihnen ins Auto zu steigen. Sie setzten mich auf den vorderen Sitz und fuhren los. Ich legte mich auf den Boden, denn ich hatte große Angst, Terroristen könnten das Fahrzeug sehen, mich darin entdecken und uns dann alle erschießen. Nach ein paar Minuten fingen plötzlich alle an zu schreien. Ich schaute hoch und sah israelische Soldaten, die ihre Waffen auf uns richteten. Ich stieg aus und schrie in Richtung der Armee, nicht zu schießen.“ Aya überzeugte die Soldaten davon, dass sie keine Geisel, sondern von den Muslimen gerettet worden war. Sie befand sich in Sicherheit.
Als sie später in den Kibbuz zurückkehrte, fand sie Mann und Kinder unverletzt vor. Aber die Hamas-Kämpfer hatten das Haus ihres Bruders Avida erobert. Der hatte sich mit Frau und Sohn im Schutzraum verbarrikadiert. Vor dem rußgeschwärzten Haus erinnert ein Banner an die beiden Menschen, die dort ihr Leben verloren. Aya weiß mittlerweile, was damals passiert ist: „Als die Terroristen es nicht schafften, die Tür zu öffnen, da Avida und sein Sohn Carmel sie zuhielten, feuerten sie durch die Stahltür. Die Schüsse zerschossen Carmel beide Arme, er verblutete. Avida wurde in die Beine geschossen. Anschließend zerstörten sie das Fenster des Schutzraums. Sie richteten ihre Waffen in den Schutzraum und schossen hinein. Die Schüsse ermordeten Dana, Avidas Frau. Die ganze Zeit über versuchten Terroristen, ein Feuer zu entfachen. Es war wohl die Aufgabe einiger von ihnen, Feuer auf der anderen Seite der Tür zu legen, um die Menschen dazu zu bringen, aus dem Fenster zu springen. Wenn sie das taten, warteten die Terroristen draußen auf sie, um sie zu erschießen.“ Ihr Bruder verlor ein Bein, kam aber mit dem Leben davon.
Aya Maydan lebt heute nicht mehr in Be’eri. Aber sie besucht den Kibbuz oft und freut sich, dort im Speisesaal ihren Retter Hisham zu treffen, der mittlerweile ein guter Freund der Familie ist.
Das Massaker
Am 7. Oktober 2023 überfielen radikal- islamistische Terroristen unter Führung der Hamas 21 Dörfer, mehrere israelische Militärbasen und ein Musikfestival im Grenzgebiet. Sie feuerten einige Hundert Raketen ab und durchbrachen den Grenzzaun. 1139 Menschen wurden ermordet, rund 5400 verletzt und 250 als Geiseln in den Gazastreifen entführt. Der Terrorangriff war der größte Massenmord an Juden seit dem Holocaust und Auslöser des Gazakrieges.