Maulbronn wehrt sich gegen Arte-Film: Verwaltung und Gemeinderat ärgern sich über NS-Doku
Maulbronn. Die jüngst im Fernsehsender Arte ausgestrahlte Dokumentation „Geraubtes Wirtschaftswunder“, in der auch die Verstrickung Maulbronner Industrieller in das System der Nationalsozialisten thematisiert wurde (die PZ berichtete), hat in der Klosterstadt große Wellen geschlagen. So bat Bürgermeister Aaron Treut den Maulbronner Archivar, Martin Ehlers, vor dem Gemeinderat Stellung zu beziehen, da die Stadt eine Stellungnahme zur Fernsehproduktion abgeben wolle. Die Art der Aufarbeitung ist bei Verwaltung und Gemeinderat nicht gut angekommen – das ist am Mittwochabend sehr deutlich geworden.
Archivar Ehlers berichtete, dass es bereits im Jahr 2000 gemeinsam mit dem Enzkreis eine Aufarbeitung zur NS-Vergangenheit in der Region gegeben hätte. Dabei sei es auch um die beiden Maulbronner Ehrenbürger Albert Burrer und Willy Schenk gegangen. Burrer habe in seinem Steinbruch ab 1943 Zwangsarbeiter inhaftiert und mit diesen Menschen unter anderem den Industriebetrieb von Willy Schenk versorgt. Es seien im Umkreis etwa 60 bis 70 Tote bekannt. Man habe im Heimatbuch 2012 dann schließlich auch „Ross und Reiter benannt“, so der Archivar. Willy Schenk sei kein „Parteigänger“ gewesen, sondern „Wehrwirtschaftsführer“. Dabei handle es sich um eine Auszeichnung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), die im Dritten Reich an etwa 400 Personen in Deutschland vergeben worden sei. Die Aktenlage sei schwierig, sagt Ehlers, da es sich damals um geheime Transaktionen gehandelt habe. Er erzählte ferner, dass Maulbronn eine „Beamtenstadt“ gewesen sei und es „keine Juden gegeben habe“. Dennoch sei der Beitrag auf Arte „Schwarzweißmalerei“, so Ehlers wörtlich – also eine einfache und polarisierende Darstellung.
Bürgermeister Treut gab im Rahmen der Gemeinderatssitzung seine Empörung darüber bekannt, dass man nun, nach 80 Jahren, das Thema aufgreifen würde und es in der Doku „Falschaussagen“ geben würde. Das Schenk-Areal sei zum Beispiel nicht durch Schwermetalle belastet, sagte Treut.
Zur Dokumentation meldeten sich auch zahlreiche Gemeinderäte zu Wort und bekundeten einhellig ihre Bestürzung über den Fernsehbeitrag. Vor allem darüber, dass ausgerechnet der Maulbronner Filmemacher Dietrich Duppel das so lange nach Kriegsende thematisieren würde. Dieser würde die Gewerbetreibenden in der Klosterstadt in ein falsches Licht rücken. Den Zwangsarbeitern sei es besser als woanders gegangen. „Ich war schockiert. Unser Ehrenbürger (Willy Schenk, Anmerkung der Redaktion) hat nichts mit dem Dritten Reich zu tun“, sagte Peter Krüger (SPD).
Till Neugebauer (SPD) sagte: „War das damals falsch oder richtig?... Es ist Unrecht geschehen. Man sollte das nach 80 Jahren nicht skandalisieren“.
Auszüge aus der Stellungnahme der Stadt Maulbronn zu der Arte-Dokumentation
In der Arte-Dokumentation „Geraubtes Wirtschaftswunder – Die übertünchte Vergangenheit der Deutschen“ geht es um mehrere Aussagen, die die Stadt Maulbronn so nicht stehenlassen möchte. Unter anderem heißt es dort: „Die Stadt Maulbronn möchte im Steinbruch ihre Geschichte, ihre NS-Vergangenheit und das Leid der Zwangsarbeiter zuschütten.“ Damit werde unmissverständlich der Stadt Maulbronn angekreidet, dass sie sich nicht mit der Vergangenheit in der NS-Zeit auseinandersetzen würde, vielmehr noch, sie würde das „Leid der Zwangsarbeiter“ endgültig zuschütten wollen.
„Dass dem tatsächlich nicht so ist, müsste Herr Duppel eigentlich schon deshalb wissen, da er vom Stadtarchiv Maulbronn historisches Quellen- und Bildmaterial für seine Dokumentation zur Verfügung gestellt bekam und sich bei Fragen mehrfach an den Stadtarchivar wandte.“
Ebenso sei Duppel das vom früheren Maulbronner Bürgermeister Andreas Felchle verfasste Kapitel in „Maulbronn Heimatbuch“ (Band II) „Untergang – Maulbronn unter dem Hakenkreuz“ bekannt gewesen. „Darin wird nichts verheimlicht oder gar geschönt dargestellt, sondern die menschenunwürdigen Verhältnisse der Kriegsgefangenen, Fremd- und Zwangsarbeiter werden anhand der vorliegenden historischen Quellen aufgearbeitet“, heißt es in der Stellungnahme der Stadt. Diese Veröffentlichung ist vor 13 Jahren erschienen und ihr ging bereits 2005 die Veranstaltung „1945. Kriegsende in Maulbronn“ voraus. Damals wurden Zeitzeugen befragt. Eingeleitet wurde mit einem Vortrag des Stadtarchivars, der damals monatelang in verschiedenen Archiven recherchiert hatte. Es blieb nicht nur bei einem Vortrag, vielmehr waren ein Teil des Ergebnisses erstmals exakte Angaben zu Kriegsgefangenen, Zwangs- und Fremdarbeitern in Maulbronn gegen Kriegsende 1945. Es handelte sich dabei um nahezu 90 französische und 83 russische Kriegsgefangene, 23 Männer und 39 Frauen in den beiden Ostarbeiterlagern in den Steinbrüchen an der Stuttgarter Straße und weitere 38 russische und rund 30 französische Zivilarbeiter im Lager Seehaus auf dem Gelände der Firma Schmid & Wezel.
Im Zuge der Recherchen für die Veranstaltung zu 60 Jahre Kriegsende im Jahr 2005 und dem Heimatbuch Maulbronn sei dann auch zutage gekommen, dass Adolf Hitler, wie in zahlreichen deutschen und österreichischen Kommunen, auch in Maulbronn eine Ehrenbürgerschaft verliehen bekommen hatte. Nur ein bewusst falsch abgelegtes Schreiben der Reichskanzlei, in dem die Ehrenbürgerschaft bestätigt wurde, gab darüber Auskunft. Obwohl die Ehrenbürgerschaft juristisch gesehen erloschen war, habe sich die Stadt 2007 öffentlich damit auseinandergesetzt und im Gemeinderat einen eindeutigen Entschluss gefasst.
Stark durcheinander gebracht habe Duppel auch, dass der von der Firma Fischer Weilheim im Wesentlichen übernommene Steinbruch an der Stuttgarter Straße dazu dienen würde, die unliebsame Vergangenheit zuzuschütten. Die Stadt Maulbronn wird hier zu gegebener Zeit lediglich als Standortgemeinde als Träger öffentlicher Belange gehört werden und wird, wie per Bürgerentscheid festgelegt, eine negative Stellungnahme abgeben. Zum anderen verschmelzen die früheren Eigentümer des Steinbruchs Vater und Sohn, die beide Albert Burrer hießen, zu einer Person. Albert Burrer sen. war 1936 Ehrenbürger der Stadt Maulbronn geworden und verstarb am 1. Januar 1939.
Es wurde auch nicht Maulbronner Sandstein für das Gelände der Olympischen Sommerspiele von 1936 und das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg geliefert, sondern Travertin von der Schwäbischen Alb.
Willy Schenk, der wie zahlreiche führende Unternehmer der obligatorischen Titel „Wehrwirtschaftsführer“ verliehen bekam, sei als Kreiswirtschaftsberater für den Landkreis Vaihingen/Enz tätig gewesen, „aber das nur mit wenig Einsatz, was man ihm seitens der NS-Führung ankreidete.“ Auch Schenks politische Inhaftierung bleibe unerwähnt, heißt es in der Stellungnahme.