PZ-Serie „Hinterm Ortsschild“ in Maulbronn: Mehr als nur das Kloster
Maulbronn. Wer Maulbronn sagt, meint das Kloster. Kreuzgang, Sandstein, stille Wasserläufe – ein Weltkulturerbe, das die Stadt seit 1993 trägt wie ein goldener Rahmen. 6500 Menschen leben hier, in einem Ort, der auf den ersten Blick Vergangenheit atmet und Touristen anzieht, die genau das suchen. Doch hinter den Mauern, jenseits der Touristenrouten, lebt ein anderes Maulbronn. Leiser, echter und überraschend jung.
Zwei Frauen, Anne Esenwein (35) und Mona Gängenbach (33), zeigen, wo das moderne Maulbronner Herz schlägt: in einem Yogastudio, das nach Holz und Ruhe riecht, in einer Metzgerei, die mehr Dorfzentrum als Laden ist, im Schafhof, der Geschichte zum Anfassen bietet. Sie beweisen, dass zwischen Fachwerk und Fels, zwischen Klosterdisziplin und Alltagstratsch, mehr Leben steckt, als jede Postkarte zeigen könnte. Die Entdeckungstour führt auch durch die Stadtteile Schmie und Zaisersweiher – zwei Orte, die sonst kaum einer nennt, wenn von Maulbronn die Rede ist.
Balance zwischen Körper und Geist
Anne Esenwein kennt Maulbronn, seit sie laufen kann. Alteingesessen, sagt sie über sich. Mona Gängenbach kam der Liebe wegen. Ihr Mann zog sie aus dem Zabergäu in die Klosterstadt. Gemeinsam führen sie durch ihr Maulbronn, zeigen Orte, die man leicht übersieht, wenn man nur das Weltkulturerbe sucht.
Erster Halt: ein kleiner Raum an der Frankfurter Straße: Das Studio „Yoga & More“. Auf den ersten Blick hat er mit Kreuzgang und Klostergeist wenig zu tun – und passt doch genau hierher. Meditation, eben modern. Seit Juli 2023 gibt es das Studio, gegründet von Anjuli Leicht, 34 Jahre alt, Yoga-Lehrerin mit Ausbildungen in Indien und Deutschland, Body-Mind-Coach, Hypnose-Therapeutin. „Ich wollte einen Ort schaffen, an dem Menschen sich begegnen, zur Ruhe kommen, sich weiterentwickeln können“, sagt sie. In Berlin oder Hamburg ist die Yoga-Studio-Dichte schließlich hoch genug.
Der Raum riecht nach Holz, die Matten liegen weich. Kein Leistungsdruck, keine Esoterikshow – eher ein stilles Gegengewicht zur Geschäftigkeit draußen. Esenwein und Gängenbach kommen regelmäßig her. „Das ist jedes Mal wie ein kleines Herauskommen aus dem Alltag“, sagt Gängenbach. Viele in Maulbronn wissen gar nicht, dass es so etwas hier gibt. „Als Dorfmensch ist man das nicht gewohnt“, meint Esenwein und grinst.
Vielleicht ist es gerade das, was den Reiz ausmacht: In einer Stadt, die einst von Mönchen geprägt war, suchen Menschen wieder Balance zwischen Körper und Geist – nur führen die Wege heute nicht mehr durch Kreuzgänge, sondern über Yogamatten.
Ein Laden mit Geschichte
Der zweite Insider-Tipp führt zu einem Ort, wo das Herz des Alltags schlägt: Zur Metzgerei Bromm, seit 1974 in Familienhand – und die letzte ihrer Art in der Stadt. Hinter der Theke steht hier oft Cecile Bromm, die Tochter des Inhabers. Die 26-Jährige arbeitet mittlerweile schon seit zehn Jahren im Betrieb. „Zu vielen Kunden haben wir ein richtig freundschaftliches Verhältnis“, sagt sie. „Man freut sich, wenn man sich sieht. Manche Ältere kommen auch einfach zum Schwätzen vorbei.“ Die kleine Metzgerei ist für Gängenbach und Esenwein weit mehr als ein Laden.
„Es ist schön, irgendwo hinzugehen, wo die Leute wissen, was man will“, sagt die 33-Jährige. „Man redet, lacht, tauscht den neuesten Tratsch aus. Das ist mehr als nur Fleisch kaufen.“
Während des Besuchs ist das gut zu spüren: Jeder, der den Laden betritt, wird familiär empfangen. Fragen, wie es einem geht. Erzählungen von Problemen, übers Wetter oder das letzte Wochenende. Hier finden typische Dorfgespräche statt. Und das in einer urigen Atmosphäre. Das Geschäft wirkt so, als hätte sich seit den Siebzigern kaum etwas verändert. Ein Stück Maulbronner Zeitgeschichte zwischen Wurst, Fleisch und Käse.
Der wahre Treffpunkt der Einheimischen
Nur ein paar Schritte von der Metzgerei entfernt, am Hang des Salzachtals, liegt der Schafhof – der dritte Tipp von Esenwein und Gängenbach. Dieser war die erste Grangie der Zisterzienser – ein Wirtschaftshof, der zur Schafzucht diente. Später kam ein Ochsenstall hinzu, weshalb er im Mittelalter auch als „Ochsenhof“ bekannt war. Der Schafhof liegt auf dem Plateau eines Steinbruchs: Aus dem gelblichen Fels, dessen Bruchkante bis heute zu sehen ist, wurden einst Steine gewonnen, aus denen die Mönche ihr Kloster errichteten. Die heutigen Gebäude stammen aus der Zeit nach der Reformation.
Seit 2009 ist dort auch das kleine Museum auf dem Schafhof zu Hause. Der Geschichts- und Heimatverein hat den alten Stall mit viel Engagement hergerichtet und bewahrt dort Geschichten aus Maulbronns Vergangenheit. Der Vorsitzende des Vereins, Kurt Haas, führt Esenwein, Gängenbach und den PZ-Reporter sogar spontan durch die verschiedenen Räumlichkeiten – von der Schmiede, über eine Küche und ein Klassenzimmer bis hin zu einer Apotheke und einer Nähstube. Alles wirkt greifbar, weil hier keine glatten Museumsvitrinen dazwischenstehen. Draußen erinnert eine kleine Brunnenfigur an die Schafe, denen der Hof seinen Namen verdankt. Ein paar Schritte weiter blicken die „Maulbronner Köpfe“ – Büsten von Kepler, Hölderlin und Hesse – über das Gelände. „Hier kommen die richtigen Maulbronner hin und nicht zum Kloster. Das ist eher für die Touris“, sagt Esenwein. Der Schafhof sei eher der Treffpunkt für die Einheimischen, da auch „alles von hier kommt“. Zudem gebe es Veranstaltungen wie das Schafhoffest und auch das Laternenfest würde dort enden.
Neben den Fachwerkhäusern, Sandsteingebäuden und üppigen Gärten befindet sich in einer ehemaligen Scheune auch die Kunstsammlung Heinrich – ein weiterer Geheimtipp Maulbronns. Auf drei Etagen ist dort eine Sammlung von Berliner Kunstschaffenden aus Ost und West mit dem Schwerpunkt auf den 1980/90er-Jahren ausgestellt. Die Werke von Künstlern wie Rainer Fetting, Walter Störer und Johannes Grützke präsentieren sich in farbenvoller Pracht.
Den ganzen Ort zu Füßen
Nach so viel Geschichte darf der Blick ruhig einmal weiter werden. Nur wenige Minuten vom Schafhof entfernt, führt ein Weg hinauf in die Weinberge – dorthin, wo Maulbronn in ganzer Größe zu Füßen liegt. „Auf den Schranken“, einem Aussichtspunkt in der Nähe des Klosters, kann man den ganzen Ort überblicken: das Kloster, die Dächer der Altstadt, den Elfinger Hof und in der Ferne sogar den Aalkistensee. Hier oben könne man einfach runterkommen, sagen die beiden. Man könne herlaufen oder mit dem Auto hinauffahren. „Das ist der schönste Blick, den man in Maulbronn haben kann“, sagt ein älteres Ehepaar, das gerade auf einer Bank sitzt und die Nachmittagssonne genießt. Man habe einen tollen Ausblick – auf die Postkarten-Motive der Stadt aber auch auf ihre weniger fotogene Seite. „Das Schenk-Areal ist unser kleiner Schandfleck“, sagt Esenwein lachend.
Steinbruch und alte Fachwerkhäuser
Nur wenige Kilometer vom Kloster entfernt, liegt das Steinhauerdorf Schmie, das sich am nördlichen Rand des Schmietals befindet – mit rund 800 Einwohnern der kleinste Stadtteil. Seit dem Jahr 1970 gehört die bis dahin eigenständige Gemeinde Schmie zu Maulbronn. Alte Fachwerkhäuser prägen hier den Ortskern. Überwucherte Steinbrüche Richtung Maulbronn – die sogenannte Schmiermer Schweiz – erinnern an frühere Zeiten und die Geschichte der Steinhauer. Für einige Bürger aus Schmie sind sie der Geheimtipp Maulbronns. Auch die Steinhauerstube erinnert an das damalige Leben. In dem kleinen Museum im Dachgeschoss des ehemaligen Rathauses sind zahlreiche Exponate, Texte und Bilder ausgestellt.
Maulbronn, wie man es heute kennt, entstand erst fünf Jahre nach der Eingemeindung von Schmie – durch die Vereinigung mit der früheren Gemeinde Zaisersweiher am 1. Januar 1975, die in einem Nebentälchen der Metter liegt. In Zasch, wie es im Volksmund heißt, leben rund 1600 Bürgerinnen und Bürger. In dem als „Haufendorf“ angelegten Stadtbild finden sich zahlreiche gut erhaltene Fachwerkhäuser und die Evangelische Johanneskirche, die 1796 auf dem Fundament eines alten romanischen Baus errichtet wurde. Von dort aus bietet sich ein Spaziergang an zum Reutsee – für die Ortsansässigen ein Geheimtipp, neben dem bekannteren Tiefen See.
Das PZ-Gemeinden-Quartett
Die PZ veröffentlicht in jeder Folge eine Quartett-Spielkarte. Bleiben Sie gespannt – das Sammeln wird sich lohnen.
Eine Schule mit berühmten Zöglingen
Um 1147 wurde das Kloster Maulbronn gegründet, vor 450 Jahren wurde dort eine Schule eingerichtet. Namhafte Persönlichkeiten wie der Wissenschaftler und Astronom Johannes Kepler oder der Dichter Friedrich Hölderlin gingen in den mehr als vier Jahrhunderten hier zur Schule. Auch der spätere Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse, der als meistgelesener deutschsprachiger Autor des 20. Jahrhunderts gilt. Ihn verbindet eine besonders Geschichte mit der Klosterschule. Mit 14 Jahren, am 7. März 1892, versuchte Hesse nach gerade einmal sechs Monaten zu fliehen – aus tiefer Verzweiflung, weil die Schule ihn nicht zum Dichter ausbildete, was sein eigentlicher Wunsch war. Rund 23 Stunden später wurde er von einem Landjäger aufgegriffen, zehn Kilometer nördlich von Maulbronn, und ins Kloster zurückgebracht.
Kurz danach endete sein Aufenthalt in der Klosterschule, da er von seinen Eltern zu einem befreundeten Theologen nach Bad Boll gebracht wurde. In der Privatheilanstalt war Hesse nervlich so angeschlagen, dass er sogar versuchte, sich das eigene Leben zu nehmen.
Drei Fragen an Bürgermeister Aaron Treut
1) Was ist das wichtigste historische Ereignis seit der Eingemeindung?
Ganz eindeutig, die Erhebung des Klosters zum Unesco-Weltkulturerbe im Jahr 1992 ist wohl das größte Ereignis seit den Eingemeindungen von Schmie und Zaisersweiher.
2) Welche Veranstaltung darf ich in Maulbronn nicht verpassen?
Das Klosterfest mit seinem Mittelaltermarktreiben ist ein absolutes Muss und natürlich der Maulbronner Weihnachtsmarkt im ganz besonderen Ambiente des Klosters. Aber auch darüber hinaus bietet Maulbronn zahlreiche Veranstaltungen von Vereinen und Institutionen wie die Klosterkonzerte, die immer einen Besuch wert sind.
3) Welches Thema ist zurzeit die größte Herausforderung in Ihrem Ort?
Maulbronn steht vor einigen großen Herausforderungen. Das Sanierungsgebiet Maulbronn Mitte, große Aufgaben rund um den Tiefen See, das Stichgleis Maulbronn-West/Maulbronn-Stadt sowie Wohnraumschaffung und Gewerbeansiedlung sind nur einige, die ich hier nennen möchte. Die größte Herausforderung aber ist – wie in anderen Kommunen auch – die Umsetzung all dieser Projekte vor dem Hintergrund einer angespannten Haushaltslage.
