G9-Umstellung und Jahr ohne Abitur: Pforzheim vor dem „Azubi-Kollaps“?
Pforzheim. Mit der Rückkehr zu G9 verändert sich das Bildungssystem auch in Pforzheim grundlegend. Schulen und Hochschulen sehen dem Übergang gelassen entgegen – Betriebe und Handwerk hingegen warnen vor einem drohenden „Azubi-Kollaps“.

Im laufenden Schuljahr haben die Gymnasien im Land wieder auf G9 als reguläre Schulform umgestellt. Zum Start sind davon nur die Klassen fünf und sechs betroffen, die älteren Schülerjahrgänge bleiben bei G8. Das bedeutet unter anderem, dass es in sieben Jahren ein Jahr ohne Abitur-Prüfungen geben wird. Was bei der vorigen Umstellung auf G8 der Doppeljahrgang war, wird dann zur Nullnummer. Das hat Auswirkungen, auf Betriebe ebenso wie auf die Hochschulen.
Das Berufliche Ausbildungsnetzwerk im Gewerbebereich (BANG) Nordschwarzwald spricht von einem drohenden „Azubi-Kollaps“. Ein zusätzliches Schuljahr verschärfe die ohnehin schon angespannte Situation. „Viele Unternehmen sind sich dessen noch nicht bewusst“, so BANG-Leiter Guido Schubert. Der Begriff „Kollaps“ sei nicht übertrieben, denn auch das Handwerk spürt die Folgen: weniger Bewerber, mehr Konkurrenz und zahlreiche unbesetzte Ausbildungsplätze, ergänzt Vertriebsassistentin Nicole Aab.
Aktuelle Zahlen, die das Netzwerk präsentiert, zeigten deutliche Trends: 60 Prozent der Abiturienten entscheiden sich für ein Studium, 40 Prozent für eine Ausbildung.
„Rund 40 Prozent brechen das Studium wieder ab“, so Schubert.
Mangel und Konkurrenz
Bei denjenigen, die eine Ausbildung wählen, zeichne sich zudem ein Wandel ab: „Viele wollen direkten Kontakt mit Menschen und praktische Tätigkeiten.“ Gleichzeitig konkurrieren neue Anbieter wie die Bundeswehr oder der öffentliche Dienst um die jungen Menschen. „Die Situation wird nicht einfacher“, sind Schubert und Aab sich einig, deren privates Netzwerk darauf spezialisiert ist, Unternehmen und Schulen zusammenzubringen.
Im Jahr 2031 wird der letzte G8-Jahrgang, die heutigen Siebtklässler, das Abitur machen. „Interessant wird es dann bei denjenigen, die das Abitur nicht bestanden haben“, sagt der Schulleiter des Reuchlin-Gymnasiums, Wolfgang Essich. Denn diese müssten ja weiter beschult werden – der folgende Jahrgang ist aber schon auf G9 umgestellt. Da dies immer nur sehr wenige beträfe, müsse es für sie Regelungen geben.
Ansonsten läuft aus Essichs Sicht die Umstellung auf G9 bei den fünften und sechsten Klassen ohne Schwierigkeiten. Er sieht dies ohnehin als einen Prozess. „Wir werden G9 Schritt für Schritt und Jahr für Jahr weiter entwickeln müssen bis es schließlich ganz durchgewachsen sein wird“, sagt er.
Auch die Hochschule in Pforzheim sieht dem Jahrgang ohne Abiturienten sorgenlos entgegen. „Der Übergang von G8 zu G9 wird sichtbare, aber zeitlich begrenzte Effekte auf die Studierendenzahlen haben. Wir erwarten keinen Einbruch, sondern lediglich eine entsprechend kleinere Kohorte“, so Rektor Ulrich Jautz. Auf Ebene der Rektorenkonferenz werde das aber noch diskutiert.
Bayern macht es derzeit vor
Einen genauen Blick wirft die Hochschule auf das Nachbarbundesland Bayern. Denn dort gab es bereits in diesem Jahr wegen der Umstellung auf G9 im Jahr 2017 keinen Abiturjahrgang. Man wolle die Auswirkungen dort beobachten, so Jautz.
Zugute kommt den Universitäten, dass nicht alle Bundesländer zeitgleich auf G9 umstellen – und dass viele Studierende aus dem Ausland kommen. Die Abiturientinnen und Abiturienten der bayerischen Gymnasien machen nach Angaben des dortigen Wissenschaftsministeriums gegenüber dem „Bayrischen Rundfunk“ nur etwa ein Drittel der Studienanfängerinnen und -anfänger eines Jahrgangs an den bayerischen Hochschulen aus.
Außerdem würden viele Abiturienten nicht direkt mit dem Studium beginnen. Die Technische Universität München gibt an: Nur 40 bis 50 Prozent der Abiturienten schreiben sich im gleichen Jahr noch ein.